Fantasy-Saga für Kinder, Jugendliche und Erwachsene

Kapitel 1

Kapitel 1: Die Einladung

Alles war völlig anders, als Adrian wieder nach Hause zu seiner Familie zurückgekehrt war, nachdem er erfolgreich seine kleine Schwester Sandy, Magnus und die beiden Zwerge, Sa'Ari und dessen Vater Sa'Guor, aus den Händen der Schwarzen Hexe und ihrer Anhänger befreit hatte. Vioala Armedana, die damals von Wictor Irkov, einem der Anhänger G'Marbors - dem finsteren Geheimbund der Magier, die sich der schwarzen Magie verschrieben hatten - schwer verletzt worden war, starb eine Woche später im Haus der Jonsons. Alle Versuche, sie wieder zu heilen, hatten keinen Erfolg gezeigt. Selbst ein besonderer Zaubertrank von Camis Großmutter konnte nur kurzzeitig seine Wirkung entfalten. Zwei Tage vor ihrem Tod schenkte Armedana Camille ihren magischen Ring und schon Stunden später war die bis dahin jugendlich wirkende Südamerikanerin dann ganz plötzlich zu einer alten, runzeligen Greisin geworden.

Der Rat der Magister, der für den Angriff auf das geheime Versteck von G'Marbor das Anwesen der Jonsons als Basis genutzt hatte, und alle, die den Rat unterstützten, zogen sich von dort wieder zurück. Da Magnus sich zu dringenden Beratungen auf den Stützpunkt des Ordens von Arlon, die geheime Insel Rocher d'Arlon, begeben hatte, konnte die Ausbildung Adrians momentan auch nicht fortgesetzt werden, weshalb Adrian sich entschlossen hatte, während des Winters für ein paar Wochen zu seiner Familie zurückzukehren. Zuvor führte Magnus gemeinsam mit Adrian einen neuen Schutzzauber aus, damit das Haus von Tomar von Eisenberg, der Adrians kleine Schwester entführt hatte, oder anderen G'Marborern nicht erneut gefunden werden konnte.

Sandy ging es inzwischen schon wieder ganz gut, einmal abgesehen davon, dass sie seitdem noch kein einziges Wort gesprochen hatte, obwohl ihre Mutter nichts unversucht ließ, sie aufzumuntern und zum Reden zu animieren. Adrian wusste, woran es wirklich lag - nämlich dass die Schwarze Hexe ihre Stimme gestohlen hatte, genau wie die Stimme von Camilles Großmutter vor vielen Jahren. Doch bisher brachte er es noch nicht fertig, seiner Mutter die harte Wahrheit zu sagen. So glaubte sie weiterhin, dass es einfach nur die Folge der schockierenden Erfahrung der Entführung war und bemutterte Sandy so gut es ging, um ihr zu helfen, das Erlebte zu verarbeiten und zu vergessen.

Adrian hatte inzwischen auch mehrmals versucht, mit seinem Vater zu sprechen. Da gäbe es schon einiges, was er unbedingt wissen wollte, insbesondere in Bezug auf seinen Großvater, der als Magister des Ordens von Arlon damit beschäftigt gewesen war, das Versteck der Schwarzen Hexe aufzuspüren, aber dann doch scheiterte. Und jetzt war er, Adrian, auf dem besten Weg, seine Arbeit weiterzuführen. Doch sein Vater wich ihm permanent aus. Möglicherweise konnte es zwar auch daran liegen, dass Adrian ihn beim letzten Mal, als sie sich gesehen hatten, mit einem Schutzschildzauber zu Boden geschleudert hatte. Und er war sowieso nicht gerade gut auf Zauberei zu sprechen und hasste alle, die sich damit befassten.

Auf jeden Fall aber wartete Adrian täglich gespannt auf eine Mitteilung des Ordens von Arlon. Die Magister Swør Larsen und Mboa Ubugma und natürlich auch Magnus Johnson, der ja nicht nur sein Lehrer, sondern ebenfalls ein Magister des Ordens war, hatten schon kurz nach dem tragischen Tod von Armedana Adrian in das Arbeitszimmer von Magnus gerufen. Dort erklärten sie ihm, dass er sich durch seinen Mut, seine Fähigkeiten und vor allem seine Bereitschaft, für andere einzutreten, als würdiger Nachfolger seines Großvaters erwiesen hat. Der Rat der Magister hatte daraufhin eine Große Versammlung des Ordens einberufen, um den Vertretern des Ordens diese Entscheidung vorzulegen. Sobald feststehen würde, wann die Versammlung stattfinden sollte, würde Adrian sofort informiert werden. Das hatten sie ihm fest versprochen. Trotzdem dauerte es ihm einfach viel zu lange.

Jeden Tag ging Adrian in den Wald auf seine geheime Lichtung und übte die verschiedenen Zauber, die er schon beherrschte. Jetzt, wo er den Lichttorzauber und den Wurmlochzauber beherrschte, wäre es ihm zwar möglich gewesen, direkt von seinem Zimmer aus dorthin zu gelangen, doch durfte er zu Hause keine Magie ausüben, um den Schutzzauber von Magnus nicht zu gefährden, der seine Familie vor den Anhängern der Schwarzen Hexe schützen sollte. Außerdem zog er es sowieso vor, morgens zu Fuß in den Wald zu laufen, um bei seiner Familie kein allzu großes Aufsehen zu erregen. Und auch seine magische Kleidung, die er von Magnus geschenkt bekommen hatte, lag gut verpackt ganz unten im Kleiderschrank. Nur seinen Zauberstab, den der Zwerg Sa'Ari für ihn aus dem Magium seines Großvaters gefertigt hatte, trug er stets bei sich. Neben den praktischen Übungen, die er so ganz allein im Wald oft nur schwer ausführen konnte, lag in Adrians Zimmer noch ein Stapel dicker Bücher über Magie und Zauberei und wartete darauf, gelesen zu werden. Doch so richtig konnte er sich nicht dafür begeistern, etwas über magische Lebewesen und Pflanzen oder über Zaubertränke und -pulver zu lesen, die daraus zubereitet werden könnten. Insbesondere ein Buch hatte er nur einmal kurz aufgeschlagen, aber schon nach einer Seite bereits wieder geschlossen und seitdem auch nicht wieder angerührt. Es trug den Titel: 'Die Geschichte und der Kodex des Ordens von Arlon'. Magnus hatte ihm zwar eindringlich geraten, sich damit zu beschäftigen, doch Geschichte langweilte ihn schon damals, auch als er noch auf eine normale Schule ging und nichts von der Welt der Magie wusste. Und daran hatte sich auch jetzt nichts geändert.

Bereits nach wenigen Tagen bekam er Heimweh nach der Abgeschiedenheit der Bergwiese der Jonsons und den gemeinsamen Übungsstunden mit Camille. Aber auch sie war für ein paar Wochen zu ihrer Freundin Samira verreist. Und da auch Myritha, ihre Großmutter, mit ihr verreist war, wohnte nur noch Hermann, der Libure und Freund von Adrian und Cami, in seinem kleinen Raum in dem Haus der Jonsons.

Am Morgen des siebenten Februars, als Adrian erwachte, erblickte er einen kleinen, grünen Briefumschlag auf seinem Tisch. Sofort hellwach, sprang er aus dem Bett und übersah dabei aber seinen Rucksack, den er am Abend zuvor einfach auf dem Boden hatte liegen lassen. Dadurch stolperte einmal längs durch sein Zimmer, bis er schließlich von der Tür seines Kleiderschrankes, die dummerweise auch noch offen stand, jäh abgebremst wurde, als er die Kante hart mit seiner Stirn traf. Nur mit einiger Mühe konnte er es sich verkneifen, laut aufzuschreien. Mit brummendem Schädel torkelte Adrian zu seinem Tisch zurück und griff nach dem Brief, der äußerlich außer dem ihm schon bekannten Wappen des Ordens von Arlon, keine weiteren Informationen preisgab. Sobald er den Umschlag berührte, öffnete er sich von ganz allein. Ein kurzes Schreiben kam zum Vorschein und schwebte nun vor seinen Augen frei in der Luft, so dass er es bequem lesen konnte.


Adrian Pallmer,

der Rat der Magister des Ordens von Arlon hat vorgeschlagen, Sie in der nächsten Großen Versammlung des Ordens, die am 20. Februar diesen Jahres auf der Insel Rocher d'Arlon stattfinden wird, für die Ausbildung und notwendigen Prüfungen als Junior-Magister zu benennen.

Eine Anreise per Lichttor oder anderen magischen Reisemethoden ist nicht möglich, da die umfangreichen und geheimen Schutzzauber, die die Insel schützen, dies nicht zulassen.

Rechtzeitig vor dem Termin wird Ihnen ein Ort mitgeteilt werden und Sie erhalten einen magischen Schlüssel, mit dem Sie durch ein Portal auf die Insel gelangen können.

Bitte teilen Sie dem Orden schnellstmöglich mit, ob Sie die Ernennung annehmen oder nicht. Mit Ihrer Zusage gehen Sie einen unwiderruflichen Bund mit dem Siegel von Arlon ein. Überlegen Sie daher Ihre Entscheidung sehr gut!

Die Magister des Ordens von Arlon.


Unter dem Text befand sich wieder das Wappen von Arlon, dessen Drache sich langsam hin- und herbewegte und Feuer spie. Darunter war eine Reihe schwungvoller Unterschriften. Ganz am Ende der Seite erschienen jetzt zwei Boxen mit den Texten: 'Ich nehme die Ernennung an' und 'Ich nehme die Ernennung nicht an'. Ohne viel nachzudenken, zog Adrian seinen Zauberstab aus seiner Tasche und tippte damit auf das erste Kästchen, da seine Entscheidung ja längst feststand. Ein kurzer Lichtblitz zuckte von der Spitze des Stabes auf das Papier. Gleich darauf drehte der Drache in der Mitte des Siegels seinen Kopf herum und spie eine Flamme in Richtung der Box und brannte ein Loch in Form eines Kreuzes in das Blatt. Dann faltete sich der Zettel von allein zusammen, begann zu schrumpfen und gleichzeitig zu leuchten, bis nur noch ein kleiner Lichtpunkt zu sehen war. Für einen Moment verharrte dieser noch schwebend in der Luft und flog dann durch Adrians kleines Kellerfenster davon. Während Adrian in Gedanken versunken dem Lichtpunkt hinterherschaute, der schon längst seinem Sichtfeld entschwunden war, klopfte es zaghaft an seiner Tür. Da er nicht reagierte, öffnete sie sich ganz langsam und leise und zwei schüchterne Augen lugten durch den schmalen Spalt.

»Komm ruhig herein, Sandy.«, sagte Adrian, ohne sich umzudrehen. Zögerlich trat seine kleine Schwester in sein Zimmer und wartete, bis er sich zu ihr umdrehte.

»Was kann ich für dich tun?«, fragte er und lächelte sie an. Davon ermuntert, trat sie an seinen Schreibtisch, nahm sich einen Zettel und einen Bleistift und schrieb darauf, 'Bist du ein Zauberer?'

Adrian schaute sie für einen Moment prüfend an und antwortete, »Ja, ich bin ein Zauberer. Und auch unser Opa war einer gewesen.«

Sandy schaute ihn mit großen Augen an und schrieb dann auf den Zettel, 'Und ich?'

In diese Richtung hatte Adrian noch gar nicht gedacht. Wäre es möglich, dass auch sie Magie beherrschen könnte? Er erinnerte sich schon noch daran, wie er damals durch ihre Augen geschaut und Magnus in dem geheimen Kerker gesehen hatte. War das nur Zufall gewesen? Oder hatte sie telepathische und vielleicht noch ganz andere magische Fähigkeiten? Aber wie konnte er es herausfinden? Adrians Gedankengang wurde schlagartig unterbrochen, als Sandy ihre Hand auf seinen Arm legte. Ähnlich, wie bei Camilles Großmutter, konnte er plötzlich in seinem Inneren ihre Stimme hören.

»Adrian? ... Kannst ... du ... mich ... hören?«

»JA!«, rief er begeistert. Also doch! Sie musste magische Fähigkeiten besitzen. Adrian zog seinen Zauberstab aus seiner Tasche und hielt ihn ihr hin. Aber sie schüttelte nur ihren Kopf und wollte ihn auf keinen Fall anfassen.

»Du kannst es, wenn du willst!«, sagte er zu ihr, aber sie schüttelte wieder ihren Kopf, so dass Adrian sie nicht weiter bedrängen wollte.

»Aber du musst natürlich nicht!«, sagte er lächelnd und steckte ihn zurück in seine Tasche.

In den folgenden Tagen kam Sandy oft in Adrians Zimmer, um mit ihm auf ihre Weise zu sprechen und bei jedem Mal klappte es besser. Inzwischen war es schon fast wie ein richtiges Gespräch zwischen ihnen. Sie erzählte alles über den bösen Zauberer, der sie von hier weggeholt hatte und natürlich auch von der Schwarzen Hexe. Diese verlangte damals, dass Sandy das magische Amulett öffnen sollte. Dabei hatte die Hexe immer nur herumgeschrien. Dann hatte das Mädchen das Amulett nach ihr geworfen, woraufhin sie als Rache ihre Stimme gestohlen hatte.

Die nächsten Tage wartete Adrian voller Ungeduld auf die Antwort des Ordens. Um sich seine Zeit zu vertreiben, begann er schließlich doch, etwas in den Büchern zu blättern, die Magnus ihm mitgegeben hatte. Dabei griff er sich versehentlich das Buch über die Geschichte des Ordens von Arlon, welches er sonst immer tunlichst mied. Sein Blick fiel auf eine Liste, in der die obersten Magister verzeichnet waren. Dort stand auch der Name seines Großvaters - Hermer Pallmer. Ein kalter Schauer lief ihm den Rücken herunter. Plötzlich war es auch kein langweiliges Geschichtsbuch mehr, es hatte mit ihm zu tun. Vielleicht würde er ja hier etwas mehr herausfinden? Als Adrian die Seite aufschlug, die hinter dem Namen seines Großvaters stand, hätte er beinahe laut aufschrien. Ein großes Bild eines Mannes im besten Alter füllte die halbe Seite aus. Es war kein normales Bild. Es war so realistisch anzusehen, als ob der Großvater wirklich auf der anderen Seite des Blattes sitzen und durch ein kleines Fenster zu ihm rüberschauen würde. Besonders seine Augen sahen so lebendig aus, dass Adrian das Gefühl hatte, sein Opa würde ihn mit dem gleichen, alles durchdringenden Blick anschauen wie Magnus. Mit klopfendem Herzen begann er schließlich, den kurzen Text unter dem Bild zu lesen.

Hermer Pallmer wurde am 14. August 1937 in der Nähe von Leipzig in Deutschland als erstes Kind einer verarmten Arbeiterfamilie geboren. Sein Vater, der selbst sehr oft krank war und als einfacher Schuhmacher nur mühsam den Lebensunterhalt der kleinen Familie verdiente, konnte seinen Kindern keinerlei Luxus und nur wenig Schulbildung ermöglichen.

Hermer Pallmers ruhmreiche Karriere als Magier begann damit, dass er ganz ohne fremde Anleitung erlernte, nur mittels seiner Gedanken Gegenstände zu bewegen. Auf diese Weise gelang es ihm beispielsweise, seine Familie vor den Trümmern des einstürzenden Wohnhauses zu retten, als gegen Ende des Zweiten Weltkrieges ihr Haus durch eine Fliegerbombe getroffen wurde und in sich zusammenstürzte.

Dies blieb dem Magier und Magister des Ordens von Arlon, Wulfried von Roodenstein, nicht verborgen. Erstaunt über das außergewöhnliche Talent des Jungen, nahm er ihn als Schüler auf und bildete ihn in den magischen Künsten aus. Schon fünf Jahre später wurde Hermer Assistent von Roodensteins und im Alter von nur siebzehn Jahren ernannte ihn der Orden zum Junior-Magister. Schon wenige Jahre später wurde er zum Magister berufen und leitete als oberster Magister ab dem Jahr 1985 den Orden von Arlon.

Unter der Führung Hermer Pallmers wurden die Reste des Geheimbundes der G'Marborer aufgelöst. Sein besonderer Verdienst bestand darin, dass er Ronan Mordan, den Schwarzen Zauberer, mit einer ausgeklügelten List besiegte und entmachtete und so das Wiedererstarken der dunklen Mächte verhinderte.

Einen tiefen Einschnitt in seine bis dahin so steile und überaus erfolgreiche Karriere stellte das Verschwinden des Siegels von Arlon, dem wohl mächtigsten magischen Artefakt, dar. Seitdem war er unaufhörlich auf der Suche danach.


Adrian las den kurzen Artikel immer und immer wieder durch. Auch wenn es gar nicht so viel Neues war, was er erfuhr, so war es doch die Geschichte seines Großvaters - es war seine Geschichte! Etwas Wehmut machte sich in ihm breit. Wie schön wäre es doch gewesen, einfach einmal mit ihm zu sprechen oder sogar von ihm ausgebildet zu werden! Was hätte er wohl alles von ihm lernen können?

In Gedanken versunken, schaute er aus seinem kleinen Kellerfenster. Draußen hatte bereits die Dunkelheit eingesetzt. Ein kleiner Lichtpunkt schoss aus der Ferne auf sein Fenster zu und kam erst wenige Zentimeter vor seinen Augen zum Stehen und riss ihn aus seinem Grübeln heraus. Instinktiv wusste er sofort, was das nur sein könnte. Endlich war sie da, die lang ersehnte Nachricht des Ordens von Arlon.

Adrian griff mit seiner rechten Hand zu dem Lichtpunkt und zog einen kleinen Brief mit grünem Umschlag scheinbar aus dem Nichts heraus. Ohne dass Adrian etwas tat, öffnete sich der Umschlag von ganz allein und ein weißes Blatt Papier kam zum Vorschein und entfaltete sich selbständig. Im oberen Bereich prangte das Wappen von Arlon in goldener Farbe. Darunter stand ein an Adrian adressierter, kurzer Text.


Adrian Pallmer,

Wir laden Sie ganz herzlich zur großen Versammlung des Ordens von Arlon am 20. Februar ein. Da Sie als Junior-Magister nominiert sind, finden Sie sich bitte bereits am 18. Februar auf Rocher d'Arlon ein.

Durch Berührung des Wappens von Arlon erhalten Sie den magischen Schlüssel zur Nutzung eines der auf der Rückseite aufgeführten Portale, mit denen Sie anreisen können.

Wir freuen uns auf Ihre Teilnahme.

Die Magister des Ordens von Arlon.


Unter dem formellen Text war noch eine handschriftliche Bemerkung hinzugefügt.


P.S. Ich freue mich darauf, Dich wiederzusehen! Bitte denke daran, Dich gut vorzubereiten, wie ich es Dir gesagt habe. Reise auf jeden Fall mit nicht magischen Verkehrsmitteln zu einem der Portale, um den Aufenthaltsort Deiner Familie nicht zu offenbaren! Magnus


Als er das Wappen berührte, löste sich davon ein dünner Lichtstrahl und formte einen schmalen, leuchtenden Ring um seinen Arm. Adrian wäre natürlich am liebsten sofort aufgebrochen. Aber es waren noch vier Tage Zeit. Und außerdem musste er erst noch herausfinden, wo die Portale zu finden waren und vor allem, wie er dort hinkommen würde. Also drehte er das Blatt herum und schaute sich die Liste an. Dort waren Orte von überall auf der ganzen Welt verzeichnet, aber die Meisten kannte er nicht. Am ehesten schien für ihn eine Adresse in Berlin zu passen, auch wenn er die Straße natürlich nicht kannte.

Adrian sagte seinen Eltern am Abend betont beiläufig, dass er nur noch bis übermorgen da sein werde. Sein Vater schwieg dazu und starrte nur vor sich hin. Seine Mutter fragte vorsichtig, »Kannst du uns nicht wenigstens sagen, wohin du gehen wirst?«

Bisher hatte es Adrian immer vermieden, darüber zu sprechen, da er keine Lust auf eine erneute Auseinandersetzung mit seinem Vater hatte. Und wenn er den Blick seines Vaters jetzt betrachtete, war das ganz sicher keine schlechte Strategie gewesen. Trotzdem antworte er seiner Mutter, »Ich gehe zu einer großen Zusammenkunft und dort treffe ich auch Magnus wieder. Und ...«, Adrian schaute für einen Moment vorsichtig zu seinem Vater, der sich aber nicht rührte, »... ich werde die Arbeit von Großvater fortsetzen!«

Wider Erwarten blieb sein Vater weiterhin ganz ruhig und teilnahmslos sitzen und bohrte mit seinen Augen Löcher in die Luft. Irgendwie hätte Adrian sogar lieber eine negative Reaktion gehabt als gar keine.

»Aber dazu muss ich erst einmal nach Berlin. Könnt ... wollt ihr ... mich hinbringen?«, fragte Adrian vorsichtig. Ohne auch nur die geringste Vorwarnung sprang sein Vater nun doch auf und rannte zur Tür hinaus. Sein Stuhl, auf dem er gesessen hatte, flog dabei quer durch den Raum und stieß polternd gegen ein kleines Schränkchen. An der Tür blieb er zwar noch einmal kurz stehen, als ob er es sich anders überlegt hätte, setzte dann seinen Weg aber fort, ohne sich noch einmal umzudrehen. Krachend fiel die Wohnungstür ins Schloss. Adrian blickte betroffen aus dem Zimmerfenster in den winterlichen Garten, als ob dort etwas Interessantes zu sehen wäre und sagte kein Wort. Schließlich brach seine Mutter das bedrückende Schweigen.

»Ich bringe dich mit dem Auto hin, ja? Wann musst du dort sein?«

»Was ist mit Vater los?«, entgegnete Adrian, als habe er ihre Frage nicht gehört.

»Wie? Was meinst du?«

»Du weißt genau, was ich meine!«, antwortete Adrian trotzig, »Wieso reagiert Vater immer so eigenartig? Ich meine, er war doch früher nicht so ... so ...« Ihm fiel kein passender Begriff ein, um das komische Verhalten seines Vaters zu beschreiben.

»Später, Adrian...«, begann seine Mutter zu flüstern, »Später! Du wirst ...«

»Schon gut!«, fiel er ihr ins Wort, winkte ab und war schon dabei, den Raum zu verlassen, so dass ihm seine Mutter hinterher rief, »Ich fahr dich natürlich hin! Gut? Also übermorgen?«

»Ja, ja.«, murmelte Adrian und lief in sein Zimmer, um seine Sachen zusammenzupacken.

Die nächsten Tage verliefen ruhig, fast zu ruhig. Am Morgen des achtzehnten Februars starteten sie bereits sehr früh. Draußen war es noch dunkel. Der Schnee, der in den vergangenen Tagen gefallen war, glitzerte im Schein der Straßenlaternen. Adrians kleine Schwester Sandy war auch schon wach und wollte unbedingt mitkommen. Juliette und Adrians Vater blieben zu Hause, während die Mutter das Auto fuhr. Durch das schlechte Wetter dauerte es ziemlich lange, bis sie endlich in Berlin ankamen. Als sie Adrian in der Nähe des Hauptbahnhofs abgesetzt und sich von ihm verabschiedet hatten, machten sie sich sofort wieder auf den Heimweg. Sandy fiel es besonders schwer, wieder ins Auto zu steigen. Erst als Adrian ihr das Versprechen gab, sie sobald wie möglich wieder zu besuchen, beruhigte sie sich etwas.

Nun stand er allein in Berlin. Auf einem alten Stadtplan, den er von zu Hause mitgebracht hatte, suchte er sich die Stelle heraus, wo sich das Portal befinden sollte und machte sich zu Fuß auf den Weg. Der Ort musste sich laut Karte abseits der Hauptstraßen in der Nähe einer Bahnschiene gar nicht so weit vom Hauptbahnhof entfernt in einer Nebenstraße befinden. Als Adrian sich langsam der Stelle näherte, überkam ihn das ungute Gefühl, dass er von irgendwem beobachtet wurde, aber so sehr er sich auch anstrengte, er konnte niemanden entdecken. Als er dann in die Zielstraße einbog, sah er sie. Mehrere Liburen, die ja schon einmal hinter ihm her gewesen waren, kamen aus verschiedenen Richtungen auf ihn zugeflogen. Nur zu gut erinnerte er sich an das undurchdringliche Netz aus Lichtfäden, mit dem diese Kreaturen bei dem letzten Angriff versucht hatten, ihn zu fangen. Ohne abzuwarten, zog Adrian seinen Zauberstab und schoss ein paar Blitze auf sie ab, so dass die Liburen erst einmal wieder ein gutes Stück zurückgeworfen wurden.

Einer der dünnen, leuchtenden Fäden, die die Hinterteile der Liburen absonderten, wirbelte durch die Luft und traf Adrians linken Fuß. Ein stechender Schmerz durchfuhr sein Bein, aber ungeachtet dessen rannte er los. Am Ende der kurzen Straße angekommen, befand sich zu seiner Linken ein altes Depot, wo ein wüst aussehender Händler alte Metallsachen und jede Menge anderen Schrott zum Verkauf anbot. Der alte Mann, der etwas kleiner war als Adrian, trug einen völlig verschmutzten Blaumann und ausgetretene, verschlissene Arbeitsschuhe. Seine ungewaschenen und ungekämmten Haare, die früher einmal schwarz gewesen sein könnten, nun aber in einem fahlen Grau erschienen, standen wild in alle Richtungen. Das gleiche Bild bot sein ungepflegter Bart. Auf seiner runzeligen Nase saß schräg eine verbogene Brille, deren linkes Glas einen Sprung hatte. Wäre Adrian nicht gerade auf der Flucht gewesen, wäre er wahrscheinlich einfach weitergelaufen und hätte diesen heruntergekommenen Penner gar nicht beachtet. Außerdem strahlte der so etwas Unheimliches aus, als würde er nur darauf warten, den nächstbesten Passanten auszurauben. Vielleicht war es ja irgendein entlaufener Häftling, der hier untergetaucht war und auf weitere Opfer wartete.

Aber die Liburen begannen schon wieder, sich neu zu formieren. Als dann plötzlich ein weiterer Schwarm dieser Kreaturen über den Dachfirst eines der Häuser am anderen Ende der Straße geflogen kam, blieb Adrian keine Wahl. Er lief in den Hof hinein, an dem Verbrecher vorbei und sprang in eine offene Tür eines der Lagerhäuser. Da der Raum keine Fenster hatte, war es darin so dunkel, dass Adrian kaum erkennen konnte, wohin er treten durfte und wohin nicht. Dabei hätte er sich lieber nicht umdrehen sollen, um noch einmal zur Tür zu schauen, denn so stolperte er über eine Kiste, die auf dem Boden herumstand. Er konnte sich zwar noch an einem der mit allerlei Unrat gefüllten Regale anhalten, allerdings gab hierbei eines der Regalbretter nach, so dass das ganze Gerümpel, was dort deponiert war, polternd zu Boden fiel. In diesem Moment kam der kriminelle Penner auch schon wie ein Tiger zur Tür hereingesprungen und schlug sie hinter sich zu, so dass es augenblicklich stockfinster wurde.

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